Seiten

Samstag, 11. Juli 2015

Jeder Bürgermeister ein Bildungsminister?

ELEMENTARPÄDAGOGISCHE INFORMATIONEN

vom Samstag, 11. Juli 2015

 

für   Plattform EduCare Blog von Google

 

 

 

 

 

„Jeder Bürgermeister ein kleiner Bildungsminister“

Erziehungswissenschafter Andreas Paschon erklärt, warum studierte Kindergärtnerinnen kein Luxus und Kinder keine Möbel sind. Und wie er daran arbeitet, Politikern aus dem Provinziellen zu helfen.

Interview: Karin Riss (DER STANDARD Sa./So., 11./12. Juli 2015, Seite 10)

STANDARD: Die Familienministerin sagt, nicht jeder Tischler muss akademisch ausgebildet sein. Sie münzt das auf die Forderung vieler Experten, der Weg zum Beruf der Kindergartenpädagogin solle übers Studium führen. Was kontern Sie?

PASCHON: Das ist der Meinung der Frau Minister. Die teile ich nicht. Ganz im Gegenteil. Mir ist wichtig, dass wir nicht das Baumaterial Holz mit unserer gesellschaftlichen Ressource der Zukunft – den Kindern – vergleichen. Da gibt es doch noch einmal einen qualitativen Unterschied, wen man hier wie formt. Es entstehen in diesem Prozess ja auch keine Möbel, sondern erwachsene Menschen.

STANDARD: Warum ist für Kinder eine studierte Pädagogin – weit über 90 Prozent sind Frauen – so wichtig?

PASCHON: Die Professionalisierung dieses Berufssfeldes ist kein Luxus der Gesellschaft, es ist die Basis. Angehende Kleinkindpädagoginnen erlernen im Studium Dinge, die eine BAKIP (Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik) nicht vermitteln kann. Nicht, weil sie eine schlechte Schule ist. Aber ihre Schülerinnen sind in der Regel zwischen 15 und 20 Jahre alt. Wer selbst noch im Loslösungsprozess von den Eltern steht, wer selbst entwicklungspsychologisch in einer Umbruchsphase ist, der tut sich schwer, mit einem gelingenden Elterngespräch und dem Einsatz von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen an der Schnittstelle Elternhaus/Kindergarten. Das ist nicht gegen die BAKIPs, ein Studium soll darauf aufbauen, nicht Ersatz sein.

STANDARD: Wer soll studieren: nur die Leiterinnen oder alle?

PASCHON: Man muss mit den Führungskräften anfangen und sich nach unten arbeiten. Wir können ohnehin nicht mit einem Schlag 40.000 Personen – das ist etwa die Größenordnung, von der wir sprechen – in einem Aufwischen mit neuen Kompetenzen ausrüsten. Es gilt, mit den besonders Engagierten anzufangen, die als Multiplikatorinnen fungieren. Mittel- und langfristig muss jede Pädagogin -  auch im Elementarbereich – in den Genuss einer akademischen Ausbildung kommen.

STANDARD: Verstehen Sie die Befürchtung, die Praxis könnte beim Studium auf der Strecke bleiben?

PASCHON: Es ist wichtig, dass die entstehenden Lehrgänge einen bestimmten Praxisanteil haben und mit Leuten arbeiten, die aus der Praxis kommen. Es geht nicht darum, den Kindergarten zu verkopfen.

STANDARD: Gibt es überhaupt genug fachliches Personal, um die akademische Ausbildung voranzutreiben?

PASCHON: Einige der seit rund einem Jahr in den Bachelor- und Masterfächern Studierenden könnten natürlich weiterforschen, in Richtung Doktorat oder Professur arbeiten. Das wird es auch brauchen, um die Forschung in diesem Bereich anzukurbeln. Andere könnten zurück in die BAKIP gehen und dort selbst  als akademisch gebildete Lehrkräfte die neuen Erkenntnisse einbringen. In Salzburg bilden wir im laufenden Universitätslehrgang 25 Leute zu potenziellen Multiplikatorinnen aus, damit diese in zwei, drei Jahren angefragt werden können, um in den Pädagogischen Hochschulen eine zielgruppenorientierte Elementarpädagoginnenausbildung auf dem aktuellsten Wissensstand voranzutreiben. Was wir nämlich nicht gut finden: wenn jemand diejenigen, die bisher für die Ausbildung der Grundschullehrerinnen zuständig waren, künftig einfach die Ausbildung der Elementarpädagoginnen noch mit dazu nehmen. Es ist schon wichtig, dass das Leute machen, die genuin aus dem Kindergartenbereich kommen und ihr Wissen akademisch vertieft haben.

STANDARD: Ist das Kritik an der neuen Pädagoginnenausbildung?

PASCHON: Die ist auf halber Strecke stehen geblieben, nämlich dort, wo es darauf angekommen wäre, den Kindergarten und die Elementarpädagogik als solche ins Konzept aufzunehmen. Dort wäre es wichtig gewesen, das Bildungssystem vom Anfang bis zum Ende durchzudenken und zu sagen: Auch die künftigen KindergartenpädagogInnen sollen Teil des Berufsstandes der Pädagoginnen sein, und sie werden auch an den Pädagogischen Hochschulen und Universitäten ausgebildet. Wir haben mit unserem Lehrgang für die Politik vorgearbeitet, damit diese schon bald Ressourcen vorfindet, auf die sie später zurückgreifen kann. Momentan kann man als bildungspolitischer Verantwortungsträger immer noch sagen: „Die, die wir brauchen, gibt es ja gar nicht.“

STANDARD: Wir die Politik diese Ressource auch nutzen?

PASCHON: Wenn man bedenkt, dass die Pädagoginnen selbst aus eigener Motivation und dem Gefühl der Notwendigkeit hineindrängen in diese Lehrgänge – nicht, weil sie dadurch besser bezahlt werden oder weil ein Träger sie dazu drängt -, sondern weil sie selbst bildungshungrig sind und Geld aufbringen müssen, ums sich an aktuellen Forschungserkenntnissen zu orientieren: Ja, ich denke, es wäre bildungspolitisch ein fatales Signal auf dieses Selbstbildungsangebot nicht zu reagieren.

STANDARD: Das Problem, ist doch: Am Enge geht’s ums Geld. Besser gebildete Pädagoginnen kosten. Wie lässt sich das lösen?

PASCHON: Unser Hauptproblem ist dieses Kompetenzwirrwarr mit Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden. Das macht es schon schwierig, wenn jeder Bürgermeister ein kleiner regionaler Bildungsminister ist. Wenn diese Verantwortungsträger dann große pädagogische Projekte und höchst dringliche Umgestaltungsprozesse mittragen sollen, die ihnen zunächst einmal fremd sind, reduziert sich die Diskussion schnell auf den Spargedanken. Bundesweite Abkommen wären sehr hilfreich bei der Festlegung von Qualitäts- und Ausbildungsstandards. Solange wir in diesem Klein-Klein bleiben, bleibt das sehr provinziell. Österreich verspielt eine wichtige Chance. Es ist selbstverständlich nicht alles schlecht, aber es hilft halt auch nichts, wenn wir bei internationalen Studien mit jeder Messung feststellen, dass rund ein Viertel der 15-jährigen kaum sinnerfassend lesen kann. Alle Studien zeigen: Wir müssten am Anfang der Bildungskarriere investieren, bei den Kleinsten. Jeden Euro, den wir dort sparen, bezahlen wir nach Jahren x-fach…

STANDARD: … das sagt die Regierung auch unisono. Spüren Sie diese Erkenntnis in der täglichen Praxis?

PASCHON: Leider noch nicht. Aber wir spüren es als Steuerzahler auf lange Sicht im nationalen Geldbörsel, wenn sich nicht bald etwas grundlegend ändert zugunsten der Elementarpädagogik.

ANDREAS PASCHON (48) ist stellvertretender Fachbereichsleiter Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg. Seit 2012 ist er Vorsitzender der Sektion Elementarpädagogik in der Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen. 

Links:

 

DIE DERZEITIGEN AKADEMISCHEN AUSBILDUNGEN:

http://www.babeplus.at/

 

http://www.uni-salzburg.at/index.php?id=55181&L=0

 

https://www.fh-campuswien.ac.at/departments/soziales/studiengaenge/detail/sozialmanagement-in-der-elementarpaedagogik.html

 

Siehe auch:

Neben einer klareren Strukturierung der Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen sowie einer Harmonisierung der LehrerInnenausbildung für 10 bis 14-jährige SchülerInnen bzw. die darauffolgende Altersgruppe drängte der Grünen-Bildungssprecher vor allem darauf, für ElementarpädagogInnen ebenfalls eine akademische Ausbildung vorzusehen. Wie Walser warnten auch die Bildungssprecher von FPÖ und NEOS, Walter Rosenkranz und Matthias Strolz, die KindergartenpädagogInnen fühlten sich durch ihren Ausschluss aus der neuen PädagogInnenausbildung vernachlässigt, vermehrte Unzufriedenheit mache sich unter ihnen breit. Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern in Sachen Kindergartenwesen verschlimmerten die Lage nur, meinte Rosenkranz. Strolz plädierte dafür, das Thema in den kommenden Finanzausgleichsverhandlungen prioritär zu bearbeiten.

Die Elementarpädagogik werde in die Bildungsreform mitaufgenommen, versicherte Bildungsministerin Heinisch-Hosek, und im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich gerade hinsichtlich Finanzierung zu überdenken sein. Aufgeschlossen zeigte sie sich für den Gedanken, zwecks Qualitätssicherung den Bereich Elementarpädagogik inklusive akademische Ausbildung zur Bundeskompetenz zu machen, zumal Kindergärten als wichtige erste Bildungseinrichtungen einen entscheidenden Beitrag zur frühzeitigen Behebung von Bildungsdefiziten leisteten. Anfreunden kann sich die Bundesministerin auch mit einer erweiterten Autonomie an Pädagogischen Hochschulen, wenn klargemacht werde, wo genau Bedarf an mehr Entscheidungsfreiheit besteht. Dezidiert wandte sie sich aber gegen eine Überführung der PH an die Universitäten, da der Praxisbezug zu den Schulen darunter leiden würde. Gegen eine sofortige Eingliederung der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten spreche, dass dadurch leicht Professionalisierung bzw. Wissenschaftlichkeit in der Gesamtausbildung verloren gehen, bestätigte QSR-Vorsitzender Schnider. Eine Annäherung der Bildungseinrichtungen bei der LehrerInnenausbildung habe vielmehr schrittweise zu erfolgen.

 

Aussender:

Informationsdienst

Krausegasse 7a/10-11, 1110 Wien, ÖSTERREICH,

Telefon & Telefax: +43 (1) 7485469

E-Mail: Infodienst@Plattform-EduCare.org

 

 

Diese Mitteilung(en) hat (haben) ausschließlich Informationscharakter.

Die Plattform EduCare übernimmt daher keine Gewähr für Richtigkeit, Genauigkeit und Qualität der bereitgestellten Information.

Eine Identifikation mit den Inhalten kann aus der Veröffentlichung nicht geschlossen werden, wir schließen jegliche Verantwortung für diese Zitierungen und die darin enthaltenen Inhalte aus.

è Diese Übersicht ergeht zur Information fallweise auch an in einzelnen Meldungen angeführte E-Mail-Adressen ç

 

 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.